Nähmaschinen rattern, als wir den lichtdurchfluteten, farbenfrohen Raum betreten. Hier ein neugieriger Blick, da ein freundliches Lächeln – ansonsten wird hoch konzentriert gearbeitet. «Das ist wichtig, schliesslich wollen wir eine hohe Qualität abliefern. Quantität und Qualität sind in der Schweizer Wirtschaft sehr wichtig, und das sollen die Teilnehmenden hier lernen,» erklärt uns der Produktionsleiter von HandsOn, Jonathan Wüthrich. Nach ihrer Zeit bei HandsOn sollen die Flüchtlinge fit für den Arbeitsmarkt sein.
HandsOn, ein Projekt der Stiftung Heilsarmee, gibt es seit 2016 und beschäftigt aktuell 24 Flüchtlinge aus neun verschiedenen Herkunftsländern. Das Programm dauert jeweils ein Jahr. Bewerben kann sich jeder – aufgenommen wird, wer bereits über Basis-Deutschkenntnisse verfügt, motiviert und belastbar ist sowie einen grossen Durchhaltewillen hat. Und natürlich müssen die Lebensumstände wie Wohnort und Familiensituation eine Teilnahme zulassen.
Kreatives aus Werbeblachen
Bei HandsOn arbeiten die Flüchtlinge im Textilbereich und fertigen Taschen, Rucksäcke und viele andere Produkte aus Werbeblachen. Das Material kommt von Druckereien oder direkt von Unternehmen, die nach dem Ende einer Werbekampagne ihre Werbeblachen nicht mehr benötigen. Jonathan Wüthrich: «Bei der BEKB war es zum Beispiel so, dass wir die riesige Werbeblache im Wankdorf gesehen haben. Da haben wir einfach mal angefragt, ob wir die Blache nach der Kampagne weiterverwerten können. Die BEKB hat die Idee mit Begeisterung aufgenommen.» Aus einem Teil der Blache lässt sie als Auftragsarbeit einige Tausend Etuis anfertigen, die sie anschliessend weiterverteilen wird. Der Rest wird vorübergehend für weitere Projekte eingelagert.Das Ganze ist für Jonathan Wüthrich eine Win-Win-Situation. «Die Werber müssen ihre Werbeblachen nicht entsorgen und können so etwas gegen die Ressourcenverschwendung unternehmen. Gleichzeitig unterstützen sie eine gute Sache.» Indem sie HandsOn ihr hochwertiges Material zur Verfügung stellen, können diese überhaupt Flüchtlinge beschäftigen und auf den Schweizer Arbeitsmarkt vorbereiten. Durch den Verkauf der Produkte und durch Auftragsarbeiten kann zudem ein Teil des Projekts finanziert werden.
Schule ist genau so wichtig wie Arbeiten
Die Flüchtlinge arbeiten nicht den ganzen Tag, sondern besuchen halbtags den Unterricht. Das Schulzimmer befindet sich bei HandsOn, direkt neben der Werkstatt. Als wir den Raum betreten, beschäftigt sich die Klasse gerade damit, welche Eigenschaften und Kompetenzen in der Schweiz wichtig sind: Hilfsbereitschaft, gegenseitiger Respekt, Pünktlichkeit, Selbstständigkeit… «Für viele sind diese Dinge selbstverständlich,» erklärt uns Jonathan Wüthrich. «Aber nicht alle verstehen das Gleiche darunter. Je nach Herkunftsland gilt man zum Beispiel auch eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit noch als pünktlich. In der Schweiz ist das aber bereits unhöflich. Das müssen sie lernen, wenn sie sich in unseren Arbeitsmarkt integrieren wollen.»
Daneben stehen auch noch Mathematik, IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien) und Deutsch auf dem Stundenplan. «Die Flüchtlinge, die zu HandsOn kommen, verfügen bereits über erste Deutschkenntnisse. In dem Jahr, in dem sie hier sind, arbeiten wir mit ihnen auf ein Niveau B1 hin. Das ist die Voraussetzung, um nachher eine Lehrstelle finden zu können,» so Jonathan Wüthrich. Und genau das ist das Ziel: Nach ihrer Zeit bei HandsOn sollen die Flüchtlinge fit für den Arbeitsmarkt sein und eine Lehre beginnen können. Je nach dem absolvieren sie zuerst eine einjährige Vorlehre oder steigen direkt in eine Lehre mit Berufsattest oder sogar mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis ein.
Lehre als Ziel
Jonathan Wüthrich: «Die Lehre muss nichts mit Textilien zu tun haben, sondern soll den Interessen der Flüchtlinge entsprechen. Unsere Jobcoaches begleiten sie bei der Berufswahl und schauen mit ihnen, was realistisch ist. Die Coaches stellen auch Kontakt mit möglichen Lehrbetrieben her, leisten viel Aufklärungsarbeit und helfen den Betrieben bei der Überwindung bürokratischer Hürden.» So konnten zum Beispiel schon Landschaftsgärtner, Metallbauer, Kaminfeger oder auch Personal für die Gastronomie vermittelt werden. Viele Flüchtlinge bringen aus der Heimat bereits Kenntnisse mit, auf die sie in der Lehre zurückgreifen können. Eine Rückkehr in den ursprünglichen Beruf ist häufig jedoch schwierig, da viele Ausbildungen nicht anerkennt werden. Die meisten müssen sich in der Schweiz neu orientieren.
Das Einleben ist nicht einfach
Dazu gehört auch Ahmad. Der 37-jährige Syrer ist vor zwei Jahren mit seiner Frau und seinen drei Töchtern in die Schweiz gekommen. Vor seiner Flucht hat er lange in einer Stickerei und dann als Panzermechaniker gearbeitet – ein Beruf, den er als Ausländer in der Schweiz nicht ausüben kann. Seit diesem Sommer ist er bei HandsOn. «Am liebsten nähe ich Rucksäcke – und zwar den Teil, der am schwierigsten ist. Ich mag die Herausforderung.»
Eine Herausforderung war auch das Einleben in der Schweiz. Ahmad erzählt: «Als ich hier ankam, konnte ich kein Wort Deutsch. Ich konnte auch nicht mit einem Computer umgehen. Es war so vieles neu. Und ich hatte ja meine ganze Familie dabei und wollte für sie sorgen. Das war nicht einfach.»
Ahmad will seine Chance packen
Dass er das Programm bei HandsOn absolvieren kann, ist für Ahmad ein Glücksfall: «Ich habe in der Schweiz grosse Hilfsbereitschaft erlebt, wofür ich sehr dankbar bin. Bei HandsOn lerne ich sehr viel. Natürlich Deutsch, aber auch andere Dinge, die mir in der Arbeitswelt helfen werden. Es ist sehr interessant und die Abwechslung zwischen Arbeit und Schule finde ich gut.» Sein Ziel ist, dass er möglichst bald selber für seine Familie sorgen kann. Dazu möchte er nächsten Sommer eine Lehre als Mechaniker, am liebsten mit grossen Maschinen, beginnen.Bei vielen Flüchtlingen ist unklar, wie lange sie in der Schweiz bleiben werden. Für HandsOn ist das auch nicht von Bedeutung, so Jonathan Wüthrich: «Wichtig ist, dass sie motiviert sind und bereits über Deutschkenntnisse verfügen. Ihr Asylstatus spielt keine Rolle – wenn sie länger in der Schweiz bleiben, werden sie im Idealfall irgendwann in der Lage sein, selbst für sich und ihre Familien zu sorgen. Da wollen wir hin. Wenn sie in ihr Heimatland zurückkehren müssen, sehen wir ihre Zeit hier sozusagen als Entwicklungshilfe.»
Herzlichen Dank HandsOn und Ahmad für den interessanten Einblick!
Hier geht es zu den Engagements der BEKB.
Publikationsdatum: April 2020